Peter Forsskal: Thoughts on Civil Liberty
 
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Gedanken über die Bürgerfreiheit Druckversion PDF-Version
   
  © Gabriele Schrey-Vasara
   
   
 

§ 1.
Je mehr man nach eigenem Gutdünken leben darf, desto freier ist man. Nach dem Leben kann deshalb nichts dem Menschen teurer sein als die Freiheit. Niemand gibt sie auf oder schränkt sie ein, wenn er nicht durch Gewalt oder die Furcht vor einem größeren Übel dazu gezwungen wird.


§ 2.
Eine Vergünstigung, die von den Menschen so hoch geschätzt wird, bedarf keiner Einschränkung, wenn alle tugendsam sind. Doch wir neigen häufig zu Lastern und Unrecht. Daher müssen uns Grenzen gesetzt werden, die Freiheit muss ihren schädlichen Part verlieren, und allein jenes soll übrigbleiben, dass ein jeder nach äußerstem Willen tun darf, was anderen und ihm selbst nützt, aber niemandem schadet.


§ 3.
In einer Gesellschaft, in der ein jeder hierzu berechtigt ist, besteht eine rechte Bürgerfreiheit.
Zu dieser gehört also, dass niemand an dem gehindert wird, was anständig und für die Allgemeinheit nützlich ist, dass jeder Redliche in Sicherheit leben, seinem Gewissen gehorchen, sein Eigentum nutzen und zum Wohl seiner Gesellschaft beitragen kann.


§ 4.
Dieser Freiheit können stets diejenigen am gefährlichsten werden, die die Mächtigsten im Lande sind, durch Amt, Stand oder Reichtum. Nicht allein können sie die Macht, die sie besitzen, missbrauchen, sondern auch ihre Rechte und ihre Kraft ständig ausweiten, so dass die anderen Einwohner mehr und mehr vor ihnen erbeben müssen.


§ 5.
Denn es macht nicht die ganze Freiheit einer Gesellschaft aus, dass die Untertanen vor der Gewalt des Regenten geschützt sind. Dies ist ein großer – und der erste – Schritt zum allgemeinen Glück. Doch die Untertanen können auch von einander unterdrückt werden. Und in vielen Republiken, die sich mit dem liebenswerten Namen der Freiheit brüsten, sind dennoch die meisten Menschen Sklaven der Vornehmen.


§ 6.
Fragt man, wessen Übermacht gefährlicher für ein Land sei, die des Regenten oder die der eigenen Mitbürger, so halte ich dafür, dass die letztere unerträglicher, die erstere aber unverbesserlicher ist und dass man deshalb vor der ersteren am allermeisten schaudern und scheuen muss. Denn ohne diese zu beseitigen, kann jene niemals beseitigt werden. Im Namen des Alleinherrschers, und mit dessen Macht, regieren oftmals boshafte Untertanen, der Gnade der Obrigkeit unwürdig, doch gesichert durch den Genuss dieser Gnade. Auch ist es aus mehreren Gründen schwieriger, Abhilfe gegen die Gewalt mächtiger Regenten zu schaffen. Eine zu weitgehende Vorstellung von der Heiligkeit der Gekrönten schützt selbst die ungerechtesten Fürsten. Viele glauben, einem Menschen, der so weit über die anderen erhoben und der Gottesmacht so nahe ist, könne niemals zu viel eingeräumt werden. Die Könige in der Barbarei spielen ungestraft mit dem Leben ihrer Untertanen, da sie als Heilige angesehen werden. Die Eidverweigerer in England plagt das Gewissen, weil sie nicht treu zu einem untreuen Königsgeschlecht stehen. Und um nicht in der Ferne nach einem Exempel zu suchen: Als Schweden, während des Krieges, den König CARL der Zwölfte führte, an Menschen, Nahrungsmitteln und Geld verarmte, glaubte man dennoch, dass dieser harte Held* sein Vaterland nicht verderbe, sondern verteidige. So erkennen die Untertanen die Ungerechtigkeit des Regenten nicht immer, und wenn sie diese erkennen, können sie sich doch nicht leicht befreien. Die Fürsten bewachen allein, wenn sie bedrängt werden, ihren Vorteil, sie walten allein über alles. Bei einem Einzelnen ist der Nutzen und die Kraft des ganzen Landes versammelt. Aber wenn manche Mituntertanen von den anderen unterdrückt werden, bemerken alle die Unbilligkeit, die darin liegt; und wenn mehrere zur gleichen Zeit ihre Macht missbrauchen, besiegt die stärkere Volksmenge leichter ihre zerstreuten Pläne und Kräfte. Die Ehrfurcht der Allgemeinheit und ihre eigene Macht gibt ihnen daher nicht genug Sicherheit.
Ihr einziger Schutz ist es, das Unrecht, welches sie begehen, zu verbergen. Dieses jedoch lässt sich nicht lange verbergen, wenn ein jeder in allgemeinen Schriften gebührend über das sprechen darf, was dem allgemeinen Wohl zuwiderläuft.
* Siehe Enväldets skadeliga påföljder [Die schädlichen Folgen der Alleinherrschaft]. Stockh. 1757.


§ 7.
Leben und Kraft der Bürgerfreiheit liegen also in einer eingeschränkten Regierung und einer uneingeschränkten Schreibfreiheit; harte Strafen sollen allein auf solchem Schreiben stehen, welches unbestreitbar unanständig ist, Lästerungen gegen Gott oder Kränkungen gegen Einzelne enthält und zu offensichtlichem Laster aufreizt.


§ 8.
Göttliche Offenbarungen, vernünftige Grundgesetze und die Ehre Einzelner können durch eine solche Schreibfreiheit nicht gefährdet werden. Denn die Wahrheit siegt immer, wenn sie im gleichen Maß bestritten und verteidigt werden darf.


§ 9.
Im Gegenteil, die Schreibfreiheit führt die Wissenschaften auf ihren Höhepunkt, enthüllt alle schädlichen Gesetze, zügelt die Ungerechtigkeit aller Beamten und ist die sicherste Verteidigung der Regierung in einem freien Reich. Denn sie flößt der gesamten Gemeinschaft Liebe zu einer solchen Regierungsweise ein. Man hört in England nicht leicht von gefährlichen Anschlägen gegen wohlgeordnete Grundgesetze. Unruhen lassen sich dort jedoch zeitig beseitigen, allein dank der freien Äußerung der Unzufriedenheit der Allgemeinheit. Dagegen haben wir in einem nicht unbekannten Reiche* ein wichtiges Beispiel dafür gesehen, dass man, wenn eine ungleich verteilte Freiheit mit Zwang verteidigt wird, leicht zu Gewalt und verzweifelten Schritten gelangt; dass derjenige, der zu wenig hat, lieber alles verliert, als ohne Neid und Missgunst einen allzu großen Teil der gesellschaftlichen und seiner eigenen Freiheit von Seinesgleichen, von Mitbürgern rauben zu lassen. Denn wer wenig zu verlieren hat, setzt das Seine mit geringem Bedauern aufs Spiel, wenn er erreichen kann, dass sein Feind und Peiniger viel verliert. Das ist zwar nicht rühmlich, aber gleichwohl gewöhnlich. Die Freiheit muss daher durch Freiheit bewahrt werden. Zwang und Unterdrückung der Unzufriedenen bringt sie in äußerste Gefahr, ob Grund zur Unzufriedenheit besteht oder nicht. Eine weise Regierung gibt der Allgemeinheit deshalb Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit statt mit anderen Waffen lieber mit Schreibfedern auszudrücken, was einerseits aufklärt, andererseits Krawalle und Unruhen dämpft und verhindert.
* Dänemark


§ 10.
Es wurde oben erwähnt (§ 3), dass die Bürgerfreiheit dafür sorgt, dass jeder Redliche in Sicherheit leben, seinem Gewissen gehorchen, sein Eigentum nutzen und zum Wohl seiner Gesellschaft beitragen kann. Jeden dieser Punkte will ich kurz erklären. Das Gesetz gibt unserem Leben große Sicherheit, da es festsetzt, dass niemand ungestraft Gewalt gegen den Körper und die Gesundheit eines Menschen ausüben darf. Dennoch muss man Anklagen hören und die Urteile der Richter vollstrecken, selbst wenn der Beschuldigte kein Verbrechen begangen hat. Denn eine Gesellschaft kann nicht ohne Gerichtshöfe bestehen, und Richter können nicht immer unparteiisch sein.* Der Hass und unbändige Eifer des Volkes hat bisweilen auch den unschuldigsten Mitbürger hinfort gerückt. Keine Gefahr ist größer als diese, für das Leben und den Ruf zugleich; und wenn dies im Übrigen nicht zu ändern ist, so sollte doch die Freiheit, sich öffentlich zu verteidigen, dazu dienen können, den Zorn des Volkes zu dämpfen und die Richter von Ränken abzuschrecken. Kann auch dies nicht erreicht werden, so ist es zum mindesten die billigste Entschädigung für ein so großes Unrecht, dass ein unglücklich Verurteilter, wie in England, seinen Landsleuten darlegen kann, dass er unschuldig stirbt.
* Siehe mehrere Publikationen über Prozesse, Richter und eine rechte Freiheit und Sicherheit des geschriebenen Wortes.


§ 11.
Das Gewissen gründet sich nicht selten auf falsche Auffassungen. Welche durchaus nicht geduldet werden dürfen, wenn sie ganz und gar auf das Verderben der Gesellschaft und der Menschen hinauslaufen, wie die trügerischen Regeln der Jesuiten. Doch zumeist können diejenigen, die ein irrendes Gewissen gefährlich zu machen scheint, gute Mitbürger werden, wenn nur die Gesellschaft sich ein wenig ihrem Irrtum anpassen mag. Die Mennoniten scheuen den Eid, doch man kann ebenso fest auf ihr Ja und Nein vertrauen.  Viele von ihnen sind nicht bereit, Feinde anzugreifen, geben indes gern Geld zum Unterhalt der Soldaten. Dass die Unterschiede zwischen den Religionen existieren können, ohne die Einheit der Bürger zu stören, beweist das glückliche und dank der Freiheit rasch bevölkerte Pennsylvania im Überfluss. In dieser Freiheit ergeben sich die irrenden Religionen nachträglich der Kraft der Wahrheit und weichen zurück, während sie oftmals durch Verfolgung zu törichtem Eifer aufgestachelt werden und heftiger um sich greifen, wie ein verdecktes Feuer. Da letzthin nirgends alle ohne Irrtum sein können, fällt es kaum ins Gewicht, ob sie offen irren, wie in England, oder im Verborgenen, wie andernorts.


§ 12.
Eigentum hat man in einer Gesellschaft teils als Angehöriger des Staates, teils als Privatmensch. Von der ersteren Art sind die öffentlichen Einkommen und was damit erworben wird, sowie die öffentlichen Dienste. Von der letzteren Art ist das, was ein jeder für sich beseitzt. Beides müssen die Gesetze vor Gewalt schützen und von Missbrauch befreien. Ein jeglicher Einwohner muss einen füglichen Anteil an den öffentlichen Lasten und Vorteilen besitzen. Denn die Gesellschaft ist eine gemeinsame Sache, und die Freiheit muss es desgleichen sein. Die Landessteuern sollen deshalb nicht durch zu hohe Abgaben von einigen wenigen gesammelt werden, sondern nach dem eigenen Einkommen muss ein jeder zu den öffentlichen Einkünften beitragen. Die Hoffnung, gesellschaftliche Dienste und Ehrenämter zu bekleiden, darf einem, der dessen würdig ist, niemals genommen werden.


§ 13.
Wenn beim Antritt jedes öffentlichen Postens eine geeignete Prüfung abgelegt wird; wenn diejenigen, die eine solche abgelegt haben, nur in der Reihenfolge ihrer Dienstzeit in das nächsthöhere Amt aufsteigen; und wenn der erste Schritt dem gebührt, der sich zuerst als geeignet erweist; dann geraten die Ämter nicht in unwürdige Hände; dann können hohe Geburt, Geld oder Gönner den Aufstieg nicht besser fördern als Fleiß und Tüchtigkeit.


§ 14.
Keine Prüfung ist leichter und zuverlässiger als das Abhören der Kenntnisse und der Ausübung dessen, was zum Amt gehört. Dies ist üblich für die Pfarrer bei uns und für alle Beamten in China. Indes ist es keine Kunst, den Besten auszuschließen, wenn man fragen darf, was man will, und beurteilen, wie man will. Daher ist es notwendig, für jeden Posten bestimmte Wissenschaften, bestimmte Bücher, bestimmte Instruktionen und Verrichtungen festzulegen, für welche man verpflichtet ist, öffentlich Rechenschaft abzulegen.


§ 15.
Es ist leicht zu gestatten, eigene Besitztümer zum eigenen Nutzen und zum Nutzen der Gesellschaft zu verwenden. Doch nicht alle Arten von Eigentum können von einem jeden so leicht erworben werden, wie es für die Gesellschaft günstig wäre.
Niemand kann durch Arbeit oder Bezahlung Land erwerben, wo er will, obgleich viele, zum großen Schaden der Allgemeinheit, mehr besitzen als sie pflegen. Gesetze, solcherart wie die des Moses bei den Hebräern, über den angemessenen und beständigen Landanteil jedes Geschlechts, 3. Mos. 25:13.23.24.40.41., oder des Licinus bei den Römern über 500 Jugera (257 1/7 Doppelmorgen), waren daher höchst nützlich, sowohl um die Pflege des Landes zu fördern, als auch, um die gegenseitigen Rechte der Einwohner auszugleichen.


§ 16.
Nichts ist in größerem Maße unser Eigentum als die Kräfte unseres Körpers und unserer Sinne; nichts ist daher in größerem Maße recht und billig, als dass man sich mit diesen auf anständige Weise ernähren, nützliche Künste und Wissenschaften ausüben darf. Sich frei von Land- und Hüttenarbeit, Handwerk, Handel, Literatur zu nähren, muss also allen offenstehen, bis deren Menge der Gesellschaft zum Schaden gereicht.


§ 17.
Vom Lande werden nützliche Arbeiter verjagt, da die Gesetze diejenigen, denen das Glück kein Stück Land zugeteilt hat, in den Dörfern und Hinterstuben vor nichts anderem Schutz genießen lässt als vor Gebrechen und Alter, was sie nahezu kraftlos macht. Denn sofern sie dem so natürlichen Freiheitsdrang folgen und ihre eigenen Herren sein wollen, müssen sie in die Städte fliehen, wo sie leicht nach eigenem Gutdünken leben oder bequemen Dienst leisten können. Doch dort wo, nach dem Brauch Englands oder Deutschlands, ein jeglicher auch auf dem Lande Herr in seiner Hütte sein kann, da verbleiben viele Arbeiter in ihrem Heimatdorf, mehren sich, üben nützliche Gewerbe aus, verdingen sich als Helfer der Landwirte; und all dies ist viel besser, als dass sie durch die Wahl des Stadtlebens unverheiratet bleiben, verwegen und faul werden, die Wagen der Vornehmen umgeben, um den Überfluss der Reichen zu unterhalten, die Zeit mit Schlaf und Liederlichkeit vertun und sich selbst und ihrem Vaterland zur Last fallen.


§ 18.
Der Entwicklung und Freiheit der Künste sollten insbesondere öffentliche Schulen dienen, wo man, so rasch Fleiß und Begriffsfähigkeit es erlauben, in allen Wissenschaften und Handwerken voll ausgebildet und ebenso rasch als Meister in dem Bereich anerkannt würde, den man versteht. Aber die Anzahl der verschiedenen Gewerbetreibenden muss nach Bedarf und Nutzen der Gesellschaft bestimmt werden.


§ 19.
Dagegen sind unsere geschlossenen Zünfte und die Unterweisung der Lehrjungen dazu angetan, Faulheit, Zwang, Menschenmangel, Liederlichkeit, Armut und Zeitvergeudung aufrechtzuerhalten.


§ 20.
Selbst die so genannten freien Künste sind in Schweden nicht frei. Andernorts werden sie ihrem Namen gerechter. In Deutschland darf ein jeder öffentlich andere alles lehren, was er sich selbst angeeignet hat.  Man müsste entweder jeden daran hindern, die Büchergelehrsamkeit zu seiner Hauptsache zu machen, oder sollte ihn dann später auch nicht hindern, in Freiheit von dem unschuldigsten Gewerbe zu leben.


§ 21.
Schließlich ist es auch ein wichtiges Recht in einer freien Gesellschaft, frei zum Wohl der Allgemeinheit beitragen zu dürfen. Doch damit dies geschehe, muss der Zustand der Gesellschaft einem jeden gebührend bekannt sein, und ein jeder muss Gelegenheit haben, seine Gedanken darüber zu äußern. Wo dies fehlt, ist die Freiheit ihres Namens nicht würdig. Kriegsangelegenheiten und manche ausländischen Verhandlungen müssen für eine gewisse Zeit verschwiegen werden und dürfen nicht vielen zur Kenntnis kommen, doch nicht wegen der redlichen Mitbürger, sondern wegen der Feinde. Umso weniger sollen Friedensangelegenheiten und Dinge, die den inwärtigen Wohlstand betreffen, den Augen der Einwohner entzogen werden. Sonst geschieht es leicht, dass nur Ausländer, die Schaden anrichten wollen, durch Gesandte und Geld alle Heimlichkeiten ausforschen, während das Volk des Landes, das guten Rat geben soll, über das meiste unwissend ist. Wenn dagegen das ganze Land bekannt ist, sehen zumindest die Aufmerksamen, was nützt oder schadet, und erklären es allen, wenn es die notwendige Schreibfreiheit gibt. Erst dann kann die allgemeine Beratung allzeit von der Wahrheit und der Liebe zum Vaterland geleitet werden, von dessen gemeinsamem Wohl das Wohl jedes Einzelnen abhängt.


Der allerhöchste Gott, der das Glück der Menschen hegt, möge unsere Schwedische Freiheit mehren und sie in Ewigkeit erhalten!

   
 
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